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SAMSTAG,4. D EzEmBER LOKAL-ANZEIGER SEITE 37 ]Rationalisi erung oder tausche Menschen 0 00 0 gegen Computer - ein verhangnisvoller Weg Daß die Elektronik, die Com- putertechniken der Industrie, dem Gewerbe, dem Handel, der Landwirtschaft und Verwal- tung fortschrittliche Hilfestel- lung leisten können und müs- sen, ist unbestritten. Aber nur so lange, wie die neuen Techniken eine Hilfe für die arbeitenden Menschen sind und nicht dazu eingesetzt werden, um die arbei- tenden Menschen zu ersetzen. Leeds, vor nicht allzu langer Zeit noch eine blühende und pulsierende Industriestadt in Mittelengland, leidet unter dem Zusammenbruch ihrer produ- zierenden Wirtschaft und seufzt unter der überdimensional ho- hen Arbeitslosigkeit. Die Stadt- verwaltung bemüht sich, neue Unternehmungen anzusiedeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, denn sie fürchtet nicht nur die Verarmung, sondern den weiteren Niedergang der gesell- schaftlichen Kultur. Der Magi- strat verzeichnet Teilerfolge. Unter anderem siedelte sich eine Firma in Leeds an, die ein einzi- ges, hochwertiges Produkt er- zeugt und, man höre und staune, runde 65 Prozent des gesamten Weltbedarfes abdeckt. In dieser hochtechnisierten, vollautoma- tisierten Fabrik sitzen, wie das Britische Fernsehen zeigte, nur ganz wenige Männer und Frau- en vor Computern und Bild- schirmen und steuern bzw. überwachen das Werden des Erzeugnisses bis zum versand- fertigen Paket. Der Bürgermei- ster zeigte sich über den Teiler- folg zufrieden, weil ein bißchen mehr Steuern in die Stadtkasse fließen, aber stellte in einem Atemzug fest, daß diese Firma nur ganz wenige Arbeitsplätze schaffe und die bedrückende Arbeitslosigkeit und die sich breitmachende Hoffnungslosig- keit unter den Mitbürgern damit nicht gelindert werden können. Leider scheint es so, daß die Bestrebungen des kontinenta- len und auch mitteleuropäi- schen Top-Managements in zahlreichen verstaatlichten In- dustrien, bedauerlicherweise auch in privatwirtschaftlichen Bereichen Platz greifen die Menschen gegen Computer aus- zutauschen, oder wie es so schön heißt, Arbeitsplätze wegzuratio- nalisierert. Das kann wohl nicht der Weisheit letzter Schluß einer erfolgreichen Unternehmens- führung bzw. guten vollwirt- schaftlichen Politik sein. Denn viele wissen es und alle fühlen es, daß mit dem Abbau zigtau- sender von Arbeitsplätzen in Deutschland und Osterreich sowie Millionen von Arbeits- plätzen in Europa sich die breite Fläche des Wohlstandes ein- zuengen anfängt, sich die Schrauben unserer Volkswirt- schaften nach unten zu drehen beginnen, nach unten in die Bereiche der großen, gesell- schaftlichen Problematiken. Je mehr Menschen immer weniger verdienen, je mehr Menschen der Existenzgrenze zusteuern, desto weniger Kon- sumgüter bzw. kurz- und mittel- fristige Investitionsgüter kön- nen gekauft werden. Da nützen dann auch die vollautomatisier- ten, der Mitarbeiter entledigten Fabriken nichts mehr, denn die Produzenten werden in zuneh- mendem Maße auf ihren Pro- dukten sitzen bleiben. Etwas Schlimmeres kann einem Pro- duzenten nicht passieren. Je mehr Menschen immer weniger verdienen, je mehr Menschen der Existenzgrenze zusteuern, desto weniger von ihnen können sich einen Urlaub leisten, desto mehr muß bei den Mitarbeitern und Investitionen eingespart werden, was nicht nur die Qualität der Dienstlei- stungsunternehmungen beein- trächtigt, sondern diese die Auf- tragsbücher unserer Gewerbe- und Handwerksbetriebe nicht mehr zu füllen in der Lage sein werden, und in Folge die indu- strielle Produktion weiter- schrumpfen lässt, der Partner Landwirtschaft in noch mehr Absatzschwierigkeiten hinein- gezogen wird. Je mehr Menschen immer weniger verdienen, je mehr Menschen der Existenzgrenze zusteuern, desto weniger Steu- ern und Abgaben fließen von den Staatsbürgern und von den Unternehmern in die Kassen des Bundes, der Länder und Ge- meinden, desto weniger wird es gelingen den alten, kranken und armen Mitbürgern zu helfen, ihr Leid zu lindern. Der Wahrheit zuliebe darf die Tatsache nicht vom Tisch ge- kehrt werden, daß man in West- europa einen Ubersozialisie- rungskult entwickelt hat, der in den unteren Etagen vielen das Arbeiten und in den oberen Etagen vielen das Denken und Handeln abzugewöhnen ver- sucht hat. Und es darf der Wahr- heit zuliebe die Tatsache nicht vom Tisch gekehrt werden, daß diese amoralische Pseudophilo- sophie vom Glück ohne Arbeit nicht unwesentlich zum Un- glück unserer Tage beigetragen hat. Was aber kann getan werden, um diesen Weg des Verlierens zu verlangsamen, zu stoppen und ihn wieder in einen Weg der Hoffnung und der Freude für all die vielen Menschen umzudre- hen, die mit Verantwortung ih- rer Arbeit nachgehen wollen, die sich freuen, durch ihre Ar- beit etwas entstehen, etwas wachsen zu sehen. Keinesfalls kann das so gehen, daß man ge- sunden Unternehmungen kran- ke Betriebe ankoppelt und die gesunden dadurch krank macht. Deutsche Großunterneh- mensführungen diskutieren oder loten, dort wo Möglichkei- ten zu sein scheinen, Zwischen- lösungen aus, wie z. B. die vorü- bergehende Einführung der 35- Stunden- oder 4-Tage-Arbeits- woche, um nicht weiter Massen- entlassungen aussprechen zu müssen. Dahinter steht nicht nur ein großes unternehmeri- sches, sondern auch ein volks- wirtschaftliches und soziales Verantwortungsbewußtsein, denn es ist auf jeden Fall besser einer Arbeit und einer Aufgabe, wenn auch in reduziertem Zeit- und Verdienstausmaß, nachge- hen zu können, als arbeitslos sein zu müssen. Es wird dem Staat doch ein bißchen etwas bezahlt und es muß von ihm nicht nur genommen werden. Wer der Staat ist, wissen wir alle! Die Überbeschäftigung hat zu ungesunden Auswirkungen ge- führt. Die Unterbeschäftigung könnte auch dazu führen. Es erhebt sich in diesem Zusam- menhang die ernsthafte Frage, wie lange die schrumpfende Zahl der Unternehmungen, Arbeiter und Angestellten die steigende Zahl der Nichtbe- schäftigten zu finanzieren in der Lage sein wird. Mit der Arbeitszeitverkür- zung allen aber wird vielleicht eine Verlangsamung möglicher- weise sogar der Stop der wirt- schaftlichen Abwärtsbewegung eingeleitet werden können. Eine Umkehr zu neuen Konjunktur- höhen wird man damit nicht zu erreichen vermögen. Auf den Hochschulen und Universitäten der Wirtschaftswissenschaften wird gelehrt, daß ein möglichst hoher Beschäftigungsgrad mit der Herstellung möglichst vie- ler, differenzierter und arbeits- teiliger Produkte bzw. Dienst- leistungen eng zusammenhängt. Mit anderen Worten müßten in der Innovation, Produktgestal- tung und im Marketing neue Wege versucht und gegangen werden. Dieser Part ist aber ein- deutig und ohne jeglichen Ab- strich dem Unternehmens-Ma- nagement zuzuordnen und nie- mand anderem. Es kann doch nicht sein, daß wir Europäer, die Völker der Denker und der Erfinder, uns von den Asiaten und Nordame- rikanern erdrücken lassen müs- sen. Es kann doch nicht sein, daß wir Europäer, die wir die Dampfmaschine, den elektri- schen Strom, die Schiffsschrau- be, den Benzinmotor, das Flug- zeug erfunden haben, nicht mehr in der Lage wären, unseren Platz auf dem Weltmarkt zu behaupten. Oder sind wir Euro- päer mit uns selbst und mit unse- rer Selbstzufriedenheit schon derart beschäftigt, daß wir vor lauter Produzieren von Erläs- sen, Geboten, Verboten und Richtlinien, wie viel Zucker beispielsweise in der Europa- schokolade sein darf und wie der Kubuskarton für die Euro- paeinheitsmilch ausschauen muß, daß wir nicht mehr sehen, daß die zwei Riesenmärkte Ost- europa und China mit zusam- men guten Eineinhalb-Milliar- den Menschen darauf warten, daß beim Aufbau ihrer neuen, modernen Volkswirtschaften nicht nur die USA und Japan mitmachen sondern sich der Westen Europas kräftig betei- ligt, was zu einer guten Wirt- schaftslage auf lange Zeit führen könnte. Dkfm. Dr. Josef Ziepl, Westendorf Anzeiger-Tel. 0535612576 Anzeiger-Fax: 05356/ 2510
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