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SEITE 12 WEIHNACHTS -ANZEIGER SAMSTAG, 25. D EZEMBER Ein neuer Freund verschönte den Weihnachtsabend dann gemeinsam essen, trinken und fröhlich sein. Er leert sein Glas mit einem Schluck. Der alte Mann hat das Be- dürfnis, sich unter die Menge zu mi schen. Schließlich begeht man heute das Fest der Freude und des Friedens. Am Heiligen Abend sollte man fr eundliche Worte austauschen, für Stun- den die Einsamkeit vergessen und zumindest einmal den Ver- such machen, seine Nächsten so zu akzeptieren, wie sie sind. Er geht in den kalten Vormittag hinaus. Menschen hasten an ihm vorüber, sind für Momente In- dividuen und gehen dann in der Anonymität der Masse unter. Er wünscht sich, einen dieser Sche- men festhalten zu können, des- sen Mensch-Sein zu ergründen, mi t ihm zu reden. Er bleibt stehen. Da wird er auch schon angerempelt, gestos- sen, als Hindernis beschimpft und sonstwohin gewünscht. Er nimmt es hin, muß es hinneh- men. Wenigstens hat er er- reicht, daß man mit ihm redet, ihm Worte und Sätze zuschleu- dert, die er auffangen kann. Und man gibt ihm die Gelegen- heit, den Schimpf zurückzu- schmettern. Das ist Festtagskom- munikation. Dann geht er weiter, sucht Schritt zu halten im hektischen Gewimmel, um kein Hindernis mehr zu sein. Schon ist er wie- der das Relikt der Vergangen- heit, von etwas längst Überwun- denem, das sich auf unerklärli- che Weise in der Gegenwart dahinbewegt, so nutzlos und daher der Aufmerksamkeit nicht wert. Er geht in ein weihnachtlich dekoriertes Lokal. Es ist dies ein Treffpunkt alter Menschen, die ---------------------------- en Bücher aus den Jahren 1935 und yt ÜHEL ILVERSCHNEE 1, 400 Seiten Bestellung bei: VEREIN ALTE KITZE Herr Hermann Gogel . Zimmerauerweg 144 . 6370 Reith Telefon und Telefax (0 53 56) 73 4 62 oder bei den Buchhandlungen.j~ je w Ab 10 Exemplare kann ein Fr Widmungsblatt eingeklebt werden mit Ihrem persönlichen Text! Ja ich bestelle Preis für 1 Buch ÖS 560,.- + Versandspesen Mengenrabatt ab 10 Exemplare Adresse............................................................................ L Unterschrift Über 600 Nostalgie! \hhi1duncen! Die gleichlautend 1962 neu aufgele UND i~VIVERCRI4U71 K 1 T Z B SONNE UND PU Format 22 x 27cn Er ist alt. Viele Jahre, viele Erinnerungen. Man kann mit, aber nicht von Erinnerungen leben. Er lebt hier und heute, wenn- gleich auch die Jüngeren das anders sehen. Für sie ist er ein Relikt Lus fernen Tagen, ein Stück personifi- zierte Vergangenheit. Aber er wehrt sich dage- gen, gewesen zu sein. Er existiert und hat eine Zu- kunft, wenn seine Tage auch gezählt sind, wie es so schön heißt. Aber wessen Tage sind nicht gezählt? Er sieht sich in seinem Wohn- raum um. Die Kommode, der Schrank, Tisch, Sessel und alle übrigen Gegenstände sind stumme Zeugen seiner Exi- stenz. Was ihm fehlt ist ein Mensch, der diese Räume mit ihm bewohnen würde, der die Gegenwart mit ihm teilen möch- te. Ein Mensch, der sich ihm mit- teilen, mit ihm lachen oder auch traurig sein könnte. Er geht zum Schrank, kramt ein Weinglas und eine Flasche hervor und stellt beides auf den Tisch. Zu gerne würde er ein zweites Glas füllen, aber wer sollte ihm zuprosten, mit ihm trinken? Er schenkt sich das Glas voll und nippt. Das Alter, diese Ansammlung von Lebens- jahren, stört ihn nicht. Aber das Alleinsein setzt ihm zu, macht ihn traurig. Er geht zum Fenster. Drunten in den Straßen und Gassen tum- meln sich Menschen. So nahe sind sie ihm und doch so weit entfernt. Und die meisten dort draußen vor den Mauern sei- ner Wohnung werden heute feiern. Sie werden um einen Christbaum stehen und singen, Christbaum stehen sich an einem Glas Wein laben, ihren Kaffee schlürfen und da- bei der, ach, so guten alten Zeit gedenken, in der sie noch jung waren und Bäume ausgerissen haben. Selbstbelügung, denkt er bei sich, alles Selbstbelügung. Na- türlich war es schön damals, als er noch jung war. Es war herr- lich, so voller Hoffnung zu sein. Es war auch schön, die Unbe- kümmertheit und Kraft seiner Jugend zu genießen. Aber die Zeiten damals, die waren weder gut noch schön. Zwölf bis vier- zehn Stunden Maloche, darauf- hin die Zeit der Arbeitslosigkeit, in welcher er die hungrigen Mäuler seiner Familie kaum zu stopfen vermochte und schließ- lich der Krieg, der ihm beide Söhne raubte und seine Frau erschlug. Von wegen gute alte Zeit. Er ist in dieses Lokal gekom- men um zu reden, Gleichaltri- gen gute Feiertage zu wün- schen und die alltäglichen Pro- bleme zu erörtern. Es ist doch wunderbar, nach dem gegen- wärtigen Befinden zu fragen und gefragt zu werden, Hoff- nungen in Worte zu kleiden und wo nötig, Tröstliches auszu- sprechen. Aber er findet keine Aufmerksamkeit. Seine Alters- genossen haben sich eingekap- selt. Sie sitzen zwar in Grüpp- chen beisammen, trotzdem ist jeder für sich allein, fühlt sich unverstanden und vergessen. Natürlich wird auch geredet, aber die Worte bilden eine Mauer, hinter der man sich ver- stecken kann, um die Gefühle zu verbergen. Er schaut um sich. In vielen Gesichtern erkennt er den Aus- druck von Unzufriedenheit und Gram. Diese alten Men- schen scheinen vergessen zu wollen, daß sie noch leben und somit eine Zukunft haben. Eine Zukunft, die sich gestalten ließe und so manchen Sonnentag ins Dasein brächte. Und sie schei- nen nicht einsehen zu wollen, daß das Alter keine Krankheit ist. Er geht. Er ist nicht verbittert, nur traurig. Einige Male schluckt er, als müßte er die Sprache hinunterwürgen und die Sätze verdauen, die er nicht aussprechen hat können. Wieder draußen auf der Stras- se, umfängt ihn erneut die Hek- tik. Hier hat er nichts mehr zu suchen, in der Masse der Hasten- den und sich Abschleppenden. Zurück nach Hause, sich eini- geln in den eigenen vier Wän- den, Ruhe suchen und mit ihr jene Besinnlichkeit finden, die diesem Festtag angemessen ist. Doch da tritt ihm etwas in den Weg. Ein bis auf das Skelett abgemagerter Hund löst sich aus einer Mauernische, schaut aus braunen Augen zu ihm hoch und bleibt schwanzwe- delnd vor ihm stehen. Der Alte Mann beugt sich zu dem gefleck- ten Vierbeiner mit Schlappoh- ren hinunter und streichelt ihn. Das Fell struppig, verschmutzt, aber der Leib des Tieres strahlt Wärme aus, die sich dem Alten wohltuend mitteilt. Eine freudi- ge Erregung durchströmt ihn und kurz entschlossen sagt er, dem Hund hingewandt: "Komm mit, du Streuner. Du bleibst bei mir". Dieser folgt willig und weicht nicht mehr von seiner Seite. Der alte Mann überlegt: ein Halsband muß her, eine Lei- ne, ordentlich zu fressen braucht das Tier und, da er den heutigen Heiligen Abend nicht mehr allein verbringt, muß ein Christbaum her, mit Kugeln, Kerzen und Süßigkeiten. Freu- de verklärt sein Gesicht. Er fühlt sich plötzlich um Jahre jünger. Er bringt den Hund nach Hause und stürzt sich dann ge- radezu in die quirrelnde Men- schenmasse, die noch immer die Straße bevölkert. Jetzt hat er es eilig, hastet in Geschäfte, sucht aus, bezahlt und kehrt, sich mit Taschen und einem Tannen- baum abschleppend, in seine Wohnung zurück. Der Hund begrüßt ihn jau- lend und leckt seine Hände. Der alte Mann lacht. Nun ist er kein nutzloses Relikt der Ver- gangenheit mehr. Er hat ein Lebewesen gefunden, für das er verantwortlich ist, das er um- sorgen kann. Seine Augen leuchten unter den buschigen Brauen hervor. Immer wieder streichelt er seinen Vierbeiner und schiebt ihm Happen zu, die das unterernährte Tier schlap- pend hinunterwürgt. Die Nacht senkt sich herab. Es ist Zeit, den geschmückten Weihnachtsbaum zu erleuch- ten. Den ersten seit vielen Jah- ren. Mit bebenden Fingern zündet der Alte die Kerzen an. Der Hund beobachtet ihn dabei und das Lichtergeflamm spie- gelt sich in seinen Augen. Der alte Mann tritt zurück, setzt sich hin, starrt zuerst auf sein glit- zerndes Lichterbäumchen und dann auf seinen Hund, der ne- ben ihm sitzt. Tränen treten in seine Augen, Tränen des Glückes. Welch ein Heiliger Abend! WILHELM KUEN
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