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schönen und erhabenen Feiern zur Sommer- und Wintersonnen- wende, wo unter seiner Leitung als Turnwart des Kitzbüheler Turnvereins von allen Abteilun- gen wirklich nur Bestes zur Vorführung gebracht wurde. Die Kleinsten waren auch im Turnverein seine auserkorenen Lieblinge. Verstand es doch kei- ner so wie er, sich im Fluge die Kinderherzen zu erobern. Es war immer ein herzerhebender An- blick, wenn unsere Kleinen leuchtenden Auges vor ihren Angehörigen unter der Leitung ihres Turnlehrers strammen Schrittes auf den Turnplatz mar- schierten und ihre Kunst zeigten. Nicht nur als Leiter und Erzie- her hat er den Vereinen, in denen erwirkte, Erfolge gebracht, son- dern auch als Einzelwettkämpfer machte er seinen Vereinen nur Ehre. - Turnbruder Zessinger war wiederholt Kreis- und Deutscher Sieger im Kunstturnen, vielmals erster Gau- und Bezirkssieger während seiner Mitgliedschaft im Männerturnverein Fürth, im Inns- brucker und Bozner Turnverein. Mehrfacher Sieger im Kunstturnen Noch als 44jähriger errang er sich in Fritzens-Wattens im Jah- re 1924 den ersten Sieg in der er- sten Altersstufe im Zwölfkampf. Und als nach Hugo Beimpolds Tod die Kitzbüheler Nachrich- ten ohne Schriftleitung waren, da hat er, der Vielbeschäftigte, der als Turnrat und als Bezirks- tumwart seine knappe Zeit ohne- hin beansprucht sah, auch dafür noch Zeit gefunden, der Witwe unter die Arme zu greifen und die Schriftleitung zu überneh- men. Seinen ganzen Mann hat er auch hier, wie überall in seinem tatenreichen Leben, gestellt. Das Wirken von Lorenz Zes- singer ging weit über den Turn- verein hinaus. In der Schulchro- nik der Volksschule ist im Jahr 1924 folgende Eintragung: "Dem Entgegenkommen der Stadtgemeinde und der schul- freundlichen Gesinnung des Bürgermeisters Hans Hirnsber- ger ist es zu verdanken, daß die Volks- und Bürgerschule einen Turnlehrer erhielt. Herr Zessin- ger gibt in allen Klassen für Knaben und Mädchen Turnun- terricht in anerkennender Wei- se". Über "Turnen in der Schule und Vereinsturnen" schrieb Zes- singer zum Schulbeginn 1924/ 25 in den Kitzbüheler Bezirks- Nachrichten (Nr. 37, 1. Jahrgang) u. a.: Neues Turnen in Schule und Verein "Die Methode des Turnens an den Schulen hat in den letzten Jahren eine recht eingreifende Umwandlung erfahren. Der Übungsstoff, der heute zwischen männlicher und weiblicher Art streng verschieden ist, teilt sich innerhalb der Altersklassen wie- der ganz individuell. Die Unter- richtsweise, wie sie heute geübt wird, ist weit entfernt von der Das letzte Foto von Lorenz Zes- singer (Februar 1926, mit den Zwillingen Helga und Helmut) früher gepflogenen, die steif, eckig und oft zu sehr dem preußi- schen Soldatentum angepaßt war, während jetzt die Turnstunden mehr in Spielform und oft mit Musik und Gesang begleitet, Freude und Anregung bringen, ohne daß hiebei die Disziplin leiden darf. Frohe Kinderaugen müssen beim Verlassen der Turn- stätte Zeugnis geben, daß sich die Schar schon wieder auf die nächste Turnstunde freut. Wenn dies der Turnlehrer zustande bringt, so ist die Jugend in der rechten Hand. Dann sind die zwei Pflicht-Turnstunden zu wenig in der Woche, dann braucht rechter Frohsinn, Jugendmut und kind- lich ungezügeltes Temperament weitere Gelegenheit zu körperli- cher Bestätigung. Das weiß man auch bei den obersten Schulbe- hörden, die heute an ihre Be- zirksschulräte Erlässe hinausge- ben, womit sie die ihnen unter- stellten Volks- und Bürgerschu- len auffordern, die Kinder auf den Turnvereinsunterricht auf- merksam zu machen, insoferne dieser von Fachleuten mit ent- sprechender Prüfung geleitet wird. Besonders eindringlich wird hingewiesen, die der Schu- le entwachsene männliche Ju- gend den d.-v. Turnvereinen zuzuführen, welche mehr denn je als jene Stätten anerkannt werden, in welchen körperliche, sittliche und völkische Erzie- hungsarbeit geleistet wird. Die Turnhallen sollen zur Werkstätte der Körperkultur werden. In ih- ren Räumen sollen die jugendli- chen Gestalten allmählich, aber fühlbar zu lebenstüchtigen, fro- hen, an Leib und Seele gesunden Menschen gemeisselt werden. Die Erwachsenenjedoch, gleich welchen Standes und Berufes sie sind, sollten nur mehr erkennen, daß es nur durch entsprechende körperliche Übungen möglich ist, alle jene Übel zu beseitigen, welche sich bei jeder Berufsklas- se durch einseitige Handlungs- weise nachgewiesenermaßen früher oder später einstellen. Also Jugend und Alter bedarf der Körperkultur zu des eigenen und des Volkes Nutzen. Bei Wiederbeginn des Turn- betriebes in der Turnhalle der Volks- und Bürgerschule ab 10. Herbstmond (September) 1924 gab es folgende Riegen: Mäd- chen von 8 bis 14 Jahre, Knaben von 9 bis 14 Jahre, Zöglinge von 14 bis 17 Jahre, Jungmänner und Gesundheitsriege, Frauen- und Mädchenabteilung, jeweils zwei Termine pro Woche. Aufnahms- berechtigt waren "nur Deutsche arischer Herkunft". Geboten wurde "Turnleitung durch ge- prüfte Turnlehrer und Vorturner". Erste Turnkurse für Frauen und Mädchen Einen Privat-Turnkurs mit ca. 15 bis 20 Teilnehmerinnen eröff- nete Zessinger am 1. Oktober 1924 mit je zwei Stunden wö- chentlich für Mädchen nach dem schulentwachsenen Alter und mit je zwei Stunden für Damen im Frauenalter. "Während im Kurse für Mädchen vorwiegend Ge- schicklichkeitsübungen, rhyth- mische Übungsarten und körper- formende Haltungs- und Gliede- rübungen gelernt werden, besteht die Ubungsmethode im Frauen- kurse in der Aufgabe, durch leich- tere Frei- und Geräteübungen den Körper von zu leicht auftreten- den Ermüdungen, welche durch allerlei Berufs- und Hausfrauen- pflichten unvermeidlich sind, zu bewahren." Anmeldungen zu diesen Kursen nahm Zessinger in seiner Wohnung im städtischen Moorbad, 1. Stock, entgegen. Der Gemeinderat erteilte Zessinger ausdrücklich die Genehmigung zur Benützung der Turnhalle zum Privatunterricht für Mädchen und Frauen, die nicht dem Turn- verein angehören bzw. angehö- ren wollen. Die Julfeier 1924 fand in zwei Teilen statt. Unter Mitwirkung des Deutschen Männergesang- vereins war eine Abendveranstal- tung im Hinterbräusaal mit der Versteigerung des Julbaumes, die Feier für die Kinder, die im Turn- saal abgewickelt wurde, dauerte viereinhalb Stunden. Das Jahr 1925 brachte dem Ehepaar Zessinger die Zwillinge Helga und Helmut. Das erste Foto, das von den Kindern ge- macht wurde - im Februar 1926- war das letzte Bild von Lorenz Zessinger. Er ist nach kurzem Leiden am 16. Mai 1926 verstor- ben. Die Beteiligung an seinem Begräbnis wurde zum Beweis für die große Wertschätzung und war, wie Dr. Hermann Schmidt- Wellenburg schrieb, "eine mäch- tige Kundgebung für deutsche Turnerart." Der Trauerzug führ- te von der Spitaiskirche durch die Stadt zur Turnhalle und von dort zum Friedhof. Das Anden- ken an den städtischen Turnleh- rer Zessinger ist von seiner Ge- neration treu bewahrt worden, lebt aber innerhalb des Turn- vereins weiter. Zessingers Wit- we starb 1969 in Kitzbühel, der Sohn Helmut fiel im Krieg. Die Tochter Helga wurde Lehrerin und lebt in Waidring. Die Vereinschronik des Turn- vereins Kitzbühel von der Grün- dung bis zum Zweiten Weltkrieg ist nicht erhalten. Anläßlich der Feiern zum hundertjährigen Bestand imJahrl969 hat Kustos Martin Wörgötter die Geschich- te des Vereins nachverfolgt. Er hat dazu Protokolle des Magi- strats, Zeitungsberichte, die Festschrift von 1928 und dasAr- chiv Josef Herold, das er insge- samt bearbeitet hat, herangezo- gen. Wörgötters Arbeiten wur- den wesentlich mitverwendet. Ihm gilt der erste Dank. Helga Grander, geb. Zessinger, in Waidring hat aus dem Familien- erbe Fotos von ihrem Vater be- reitgestellt, die noch nie veröf- fentlicht wurden. Dafür gilt H. Grander herzlicher Dank. Dr. Bern ha rd Kaaserer ermöglichte die Aufnahme eines Olgemäldes seines Vorfahren Ludwig Stai- ner, des ersten Turnlehrers in Kitzbühel. Dafür herzlichen Dank. Der vorstehende Bericht beleuchtet die Gründungsphase und die ersten Jahrzehnte der Vereinsgeschichte des TV Kitz- bühel und die Persönlichkeit zweier Turnlehrer. Eine weitere Folge wird sich mit der weiteren Entwicklung des Vereins befassen. H. W.
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