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Willi Gantschnigg (rechts) mit dem nächsten Weltrekordspringer Sepp Weiler und dem Tiroler Rudi Dietrich in Oberstdorf (1950). 1. n3REALuetcv tmatbtattet Heimatkundliche Beilage des "Anzeiger" mit Beiträgen über Volkstum, Geschichte, Volksleben, Kultur und Natur Schriftleitung Hans Wirtenberger Nr. 1/2000 10. Jahrgang Der Weltrekord hielt nur 48 Stunden Um Willi Gantschniggs Rekordsprung (124 m) vor 50 Jahren Von Hans Wirtenberger In den "nordischen" Schidis- ziplinen waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Norwe- ger tonangebend. Sie waren auch die ersten Schanzenbauer, legten aber mehr Wert auf Hal- tung als auf erzielte Weiten. Schon um 1935 entwickelten sich von Mitteleuropa ausge- hend neue Richtungen im Schi- springen. Die erste "Flugschan- ze" in Planica wurde zum Streitobjekt unter den Sprung- laufexperten. Revolutionäre Entwicklungen in der Technik des Springens und im Sprung- schanzenbau leitete der Schwei- zer Ingenieur Dr. Reinhard Straumann ein, der Tests mit fast lebensgroßen Puppen im Windkanal durchführte und schon 1932 den FIS-Kongreß zu überzeugen vermochte, dass größere Absprunggeschwindig- keiten und Weiten zu einer Ver- besserung der Sprungtechnik und der Körperhaltung während des Fluges beitragen würden. Der aerodynamische Sprungstil wurde zuerst von Schweizer Springern verwirklicht. Der be- deutendste Springer wurde Andreas Däscher, unter den österreichischen Schispringern war der Draufgänger Willi Gantschnigg sein erster Nach- folger. Ihm war freilich nur die Rolle des "Genies eines Tages" zugemessen - am 28. Februar 1950 war der schönste Tag für den Flugsportler, der Weltre- kordsprung war Höhepunkt und fast schon Ende seiner Karriere. Als nach dem Zweiten Welt- krieg der internationale Skiver- band (FIS) den im Krieg ge- standenen Sportlern aus Osterreich und ab 1949 auch aus Deutschland die Freigabe erteilte und Veranstaltungen mit interessanter ausländischer Be- teiligung wieder attraktiv wur- den, gab es auch bald Pläne für neue Sportanlagen. Dabei wur- de überraschend schnell er- kannt, dass das Publikum nun Sensationen wollte und so kam es zu Vorarbeiten für Schiflug- schanzen u. a. in Kitzbühel. Im Allgäu taten sich mehrere er- folgreiche Springer zusammen und hatten mit ihrem Projekt Erfolg. Sie errichteten die zwei- te Schiflugschanze der Welt. Der bekannte deutsche Sport- journalist Heinz Maegerlein fasste etwa 20 Jahre später Aus- gangsposition und Erfolg so zu- sammen: "Im Sommer 1948 fassten drei junge Männer am Fuße ei- nes steilen Hanges im Birgs- autal bei Oberstdorf einen Ent- schluss: Hier wird gebaut. Ohne viel Geld, ohne Vorbild. Was hier entstehen sollte, gab es noch nirgends in der Welt! Ge- wiss, in Planica in Jugoslawien stand eine sehr große Schanze, die erste Schiflugsehanze der Welt. Dort hatte Sepp Bradl 1936 den ersten 100-m-Flug der Schigeschichte geflogen. 1941 war Rudi Gehring aus Thürin- gen 118 m weit gekommen und 1947 hatte der Schweizer Fritz Tschannen den Weltrekord auf 120 m gestellt. Die drei jungen Männer waren selber bekannte Schispringer: Heini Klopfer, Sepp Weiler und Toni Brut- scher. Sie beschlossen an jenem Tag, im Birgsautal die größte Schanze der Welt zu bauen. Im Winter 1949/50 standen sie dann zum ersten Male auf den Anlaufturm, dessen oberste Plattform genau 161 m über der Talsohle war. 161 m, das ist die Höhe des Ulmer Münsters. Die Anlage wies nur Superlative auf: 40 Grad Neigung des An- laufs, Neigung des Aufsprung- hangs bis 41,5 Grad. Erregung fasste die Männer, als Heini Klopfer, Architekt und Schi- Springer, den Eröffnungssprung wagte. Als er, ohne Weite anzu- streben, weit über 100 m hinun- tergetragen wurde, wusste er, dass seine Berechnungen stimmten. Von da an wurde auf dieser Schanze Schigeschichte ge- schrieben. Bei der ersten Schi- flugwoche 1950, zu der insge- samt fast 200.000 Zuschauer kamen, stellte der Schwede Dan Netzell den Weltrekord auf 135 Meter. Aber der Schweizer Andreas Däscher war der erste, der vogelgleich über die Schan- ze in die Tiefe segelte. Vor ihm hatte es niemand flur möglich gehalten, dass ein Mensch vom ersten bis zum letzten Meter des Schiflugs in völlig ruhiger Hal- tung, wie eine Möwe, die kei- nen Flügelschiag tut, durch den
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