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SEITE 14 KUIIiJR-ANZEIGER DONNERSTAG, 1. AUGUST 2002 Jedes einzelne Sandkorn ist wichtig... KITZBÜHEL. Im Rahmen der Tibet-Ausstellung in Kitzbühel hatte Sonja Pal- ma das Vergnügen, mit ei- ner ganz besonderen Frau, der . Exil-Tibeterin Tseten Zöchbauer, ein In- terview für den Kitzbühe- 1er Anzeiger zu führen. Viele interessante und berührende Lebensweis- heiten sind in Tsetens sehr emotionellen Aussa- gen vorhanden KA: Tseten, wie lange bist Du schon in Osterreich und warum gerade hier? TZ: Ich bin jetzt schon seit 14 Jahren in Osterreich, und ich wäre nicht von alleine gekom- men. Mich hat es eher immer in Richtung Indien gezogen. Aber ich habe dann meinen Mann kennengelernt, er ist Nieder- österreicher. Es war nicht nur Liebe, sondern ganz einfach auch die richtige Zeit, eine Fa- milie zu gründen. Ich hatte in der Schweiz meine Familie und habe dort für eine Modefirma gearbeitet. Meinen Mann habe ich bei einer Gucci-Eröffnung in St. Moritz kennengelernt, er war dort als Musiker. Ich glau- be, wir Tibeter als Flüchtlinge tun uns leichter mit örtlichen Veränderungen. Der Anfang war so schwierig, mir fehlten die Schweizer Berge, die Nach- barn sagten mir etwa, dass sie solche wie mich nur vom Fern- sehen kannten. Ich hatte auch niemanden, der mich lehrte, und ich vermisste meine tibeti- sehen und schweizer Freunde. KA: Du bist ja als Dreijähri- ge mit Deinen Eltern aus Tibet geflohen und kamst dann zu Pflegeeltern in die Schweiz, kannst Du Dich an diese an- fängliche Zeit noch erinnern ? TZ: Da liegen Jahre dazwi- schen, wir sind zuerst nach In- dien geflohen. Ich bin erst dann mit sechs Jahren in Form eines Projektes zur Pflege frei gege- ben worden. Sie haben gesagt, dass sie ein paar Kinder neh- men und zu wohlhabenden Schweizer Familien schicken, die schon ein Kind haben, die später zurückkehren und mit ihrem Wissen den tibetischen Flüchtlingen helfen können. Aber wenn Kinder schweizer Eltern bekommen, dann fühlen •: A k Tseten Zöchbauer und Hu- bert von Goisern engagieren sich für Tibet. sie sich schweizerisch. Man spricht kaum mehr die eigene Muttersprache und bekommt Angst vor der eigenen Kultur. Am Anfang ist niemand zurück- gegangen. Ich hatte das Glück, dass bei mir noch eine ältere Ti- beterin war, die mich gelehrt hat zu beten. Gewisse Dinge waren schon in uns drinnen, die hätte man nicht ändern können, wie etwa die Liebe zum Dalai Lama. Damals war der Dalai Lama für uns der einzige Trost, den wir hatten, wenn er zum Beispiel zu seiner Geburtstags- feier ins Kinderdorf kam. Und die Lehren, dass man keinem Lebewesen etwas zuleide tun darf, waren tief in uns veran- kert. Ich habe schon als Kind ein sehr stark ausgeprägtes Ge- rechtigkeitsgefühl gehabt, ich konnte aber nicht damit umge- hen. Ungerechtigkeit oder Ag- gression gegen andere konnte ich einfach nicht ertragen. Ich habe mich dann sehr engagiert für Amnesty International und in Amerika für die Indianer. Ich habe aber sehr wenig über Tibet gewusst. Nach einer Psychia- trie-Schwestern-Ausbildung in Genf bin ich nach Arizona und New Mexico gefahren, wo ich drei Jahre geblieben bin. Ich ha- be mich mit Indianern ange- freundet und mich engagiert im Kampf um ihr Land. Dann ha- ben die Indianer oft gefragt, warum ich denn nicht für mein Land kämpfe? Und ein indiani- seher Freund gab mir zu verste- hen, wenn wir Tibeter nicht auf- passen, dann passiere uns das Gleiche wie den Indianern. Daraufhin bin ich in die Schweiz, habe meine Leute ge- sucht und mich für die tibeti- sehe Jugend engagiert. Dann kam ich also nach meinem Auf- enthalt in der Schweiz nach Osterreich und das ist der Platz, an dem ich gebraucht werde. KA: Vergleiche doch einmal eine Frau in Tibet, eine Tibete- rin im Exil und eine österreichi- sche Frau. TZ: Für die meisten Osterrei- cherinnen sind die Grundbe- dürfnisse erstmal gedeckt, für die Tibeterin im Exil großteils auch, aber auf Grund anderer, gütiger Menschen. Von der Schweiz her habe ich viel Selbstvertrauen und Demokra- tiebewusstsein bekommen. Als ich in Osterreich die ersten De- monstrationen für Tibet organi- sierte, bemerkte ich, dass öster- reichische Freunde davor Angst hatten. Man riet mir aufzupas- sen, aber das war mir völlig egal. Denn es wird mir nicht passieren, was der Tibeterin passiert, wenn sie dasselbe in Lhasa tut. Der Glaube ist natür- lich auch ein großer Unter- schied. Die Osterreicherin hat eine ganz starke Kultur, die vom katholischen Glauben ge- prägt wird. Aber die Menschen des katholischen Glaubens ha- ben den Glauben kristallisiert anstatt ihn ihrem Leben anzu- passen. Die Tibeterin in Tibet würde ohne ihren Glauben zu- grunde gehen; sie empfindet Freude über die Rechtschaffen- heit des Universums und über- lebt durch diese Freude, auch ganz ohne Hass. Hätte ein Tibe- ter im Exil keinen Glauben, gin- ge es ihm noch schlechter. KA: Du bist ja nach vielen Jahren mit Hubert von Goisern unter sehr schwierigen Umstän- den auf einer Reise zurück nach Tibet. Wie war das? TZ: Der Hubert und ich ha- ben eine wunderschöne freund- schaftliche Beziehung. Ich habe mit ihm auf seiner Tournee mit den Tibetischen Künstlern über das Leben in Tibet nach der Be- setzung gesprochen. Plötzlich wollte er unbedingt, dass ich mit ihm mitkommen sollte. Ich wollte aber erst wieder nach Ti- bet zurück, wenn es ein freies Land ist. Damit die Chinesen nicht sagen könnten, ich wäre ein Tibeter, der freiwillig zurückkehrt. Ich hatte noch da- zu meine beiden Töchter, die damals noch ganz klein waren. Aber irgendwie hielten alle meine Ausreden nicht stand. Als ich dann tibetischen Boden betrat, fühlte ich angesichts der roten chinesischen Flagge auf dem Flughafen in Lhasa Wut, denn mein Ego hat sich ge- wehrt, das ist mein Land, das ist Tibet und was soll hier diese chinesische Flagge? Ich war so verletzt und hatte irgendwie gar nicht das Bewusstseiti, in Tibet zu sein. KA: Hast Du manchmal das Gefühl, dass die westliche Welt mehr für Tibet tun könnte? TZ: Die westliche Welt könn- te mehr teilen, mehr Aufmerk- samkeit schenken und ihre Leh- ren zur Verfügung zu stellen, damit wir die Freiheit erlangen können, auch ohne wirtschaftli- chen Hintergrund. Tibet ist ei- nes dieser Länder, für das man sich einsetzt, ohne materiellen Gewinn, aber das ist es wert. Massenhaft reiche Leute sam- meln unsere Kunst und die chi- nesische Delegation in Wien hatte gemeinsam mit der öster- reichischen Regierung Künstler aus Lhasa eingeladen, Tibeter hatten zu dieser Veranstaltung aber gar keinen Zutritt. Es wird nie bemerkt, dass Tibet ein be- setztes Land ist. KA: Was bedeutet für Dich in Osterreich lebend der Da- lai Lama? TZ: Mein Karma ist es, hier zu sein. Mein Wirkungsbereich ist hier. Der Dalai Lama ist Lie- be. Für uns Tibeter bedeutet er Liebe, Familie, Schutz, Heimat, einfach alles. Wenn der Tibeter im Westen so geschätzt wird, dann basiert das auf seiner Er- ziehung. Seine Worte haben wir überall gehört und aufgenom- men. Das ist eine Autorität, die mit Liebe akzeptiert wird. KA: Hast Du noch eine Bot- schaft an die westliche Welt zu richten ? TZ: Die wichtigste Botschaft, die ich in meinem Leben erfah- re, ist, wir brauchen einander. Und das wiederhole ich mit dem Mandala immer wieder in meinen Erklärungen. Jedes ein- zelne Sandkorn wird gebraucht und ist wichtig. Wir wirken ge- meinsam und der einzige Adel der zählt, ist der Adel der Seele und nicht der der Herkunft. Sonja Palma
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