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SEITE 32 LOKAL-ANZEIGER DONNERSTAG, 17. JÄNNER 2002 richtig, was es bedeutet. Ich werde das bei Gelegenheit mit meinen vier Freunden bespre- chen müssen. 4. Die Bergfahrt John nimmt mich mit auf eine Bergwanderung aufs Kitzbühe- 1er Florn. Das heißt: Wir neh- men zuerst die Gondelbahn bis Harschbichel. Dann wandern wir hinauf aufs Horn. Oben ge- hen Ehepaare mit Lederjacken und 1-lalbschuhen eine geteerte Straße entlang. Sie sind mit dem Auto bis kurz unter den Gipfel gefahren. Vom Gipfel selber ist nicht viel zu sehen. Zwischen einer riesenhaften Antennenanlage und dem Berg- restaurant ist eine gepflasterte Aussichtsplattform. John geht sofort zur Panoramakarte und fängt an, alle Berggipfel im Umkreis der Reihe nach mit dem Zeigefinger anzuvisieren und mit den Namen auf dem Plan zu benennen. Einmal mehr frage ich mich, warum Berge Namen haben. Und noch dazu solche: 'Hohe Salve, Rauher Kopf, 'Zahmer Kaiser'. Als ob sie etwas dafür könnten. Und einmal mehr frage ich mich, warum Menschen um jeden Preis auf Berge hinauf gehen. 'Um dem Gefängnis zu entrin- muss nur einmal genau hinse- hen, um zu merken, dass sie ih- re Ruhe haben wollen. Dass sie uns rufen, ist Schwachsinn. Und Namen haben sie ohnehin nicht. John hört nicht richtig hin. Er hat es eilig, er muss noch vor Sonnenuntergang das Stripsenj ochhaus erreichen. 5. Gabi, Heidi und der Stern wender (jiovaimi arbeitet seit 23 Jah- ren bei der Egger Spanplatten- fabrik. Während der ersten fünfzehn Jahre verbrachte er täglich acht Stunden mit Gabi und Heidi. 'C 194 Gabi und 'C 216 Heidi heißen die Kurztakt- pressen von Siempelkamp. Gio- vaimi hat überwacht, wie Gabi und Heidi rund um die Uhr prcssen, pressen, pressen, bis vorne die Spanplatten heraus- kommen. Nach fünfzehn Jahren als Geburtshelfer hat Giovanni geht Giovanni manchmal in die Panorama Badewelt. Das Wäs- ser dort wird geheizt mit Fern- wärme aus der Spanplattenfa- brik Egger. Abends setzt er sich zuhause an den Wildbirne- Spanplattenküchentisch und isst etwas. Wenn er morgens zu sei- ner Maschine geht, kommt er an einer Vorrichtung vorüber, wo die Spanpiatten einzeln zum Abkühlen aufgefächert werden. Die Maschine heißt Sternwen- der'. Vorne ist ein Schild ange- bracht, darauf steht: 'Achtung: Nicht in den Sternwender grei- fen! Quetschgefahr! Kürzlich hat Giovanni geträumt: Er legte sich mit Gabi und Heidi in den Sternwender, der Sternwender drehte sich immer schneller, sie wurden hinausgeschleudert und landeten mitten in einer wei- chen Blumenwiese zwischen Wildbirnen und blühenden Kirschbäumen. Dann klingelte der Wecker auf dem Oxford- Cherry-Spanplattennachttisch. Giovanni hatte Frühschicht. Priester. (Von wo sind gefallene Priester eigentlich herunterge- fallen? Auch eine Geschichte.) Nach der Besserungsanstalt wurde das Haus zur Mädchen- schule, dann zur Pension für barmherzige Schwestern, dann zu einem Nazi-Büro, dann zum Entnazifizierungsbüro, und jetzt ist es also eine Kunstgale- ne. Das Haus, stelle ich mir vor, hat gar keine Backsteine mehr, keine Balken, keine Holzböden. Die Wände sind aus Geschich- ten. Die Böden sind aus Ge- schichten. Das Dach ist eine Geschichte. Ich würde gern lau- schen. Doch ich getraue mich nicht, einfach so mein Ohr an die Wand zu drücken. Das sähe komisch aus. Und ohnehin ist es zu laut an der Vernissage. Ich will die Geschichte mit den Ge- schichten wenigstens Juan er- zählen. Aber er macht sich schon am Buffet zu schaffen. Die Lachsstückchen sind auf die Brötchen gespießt mit Pla- stikspießchen in Form einer nackten Frau. Ihre Füsse sind zu spitzen Enden verkrümmt, in ei- ner Mischung aus Balletttänze- rin und Meerjungfrau. Die Ar- me hat sie angewinkelt in die Ilöhe gestreckt, als würde sie sich die Haare zu einem Ross- schwanz binden. Eigentlich auch eine Geschichte. Juan lacht mit vollem Mund. gewechselt in die Kleiderabtei- lung. Er bedient jetzt eine Ma- schine, die das Zellstoffpapier 6. Das Ohr an die mit einer Art Wachs versieht. Das Zel1sto1apier wird nach- Wand druckeii her auf die Spanpiatten geklebt Die Holzschnitte des jungen und soll aussehen wie Holz und Wiener Künstlers Michael trägt Namen wie 'Oxford Schneider erzählen Geschich- Cherry' und 'Wildbirne'. Das ten. Je nach Betrachter erzählen Papier wird mit einer Ge- sie ganz andere Geschichten. nen, schrieb der Schweizer Au- schwindigkeit von 41 Metern Sie erzühlen sie aber nie bis tot ludwig 1 lohl einmal. Da hin pro Minute durch das Wachshad zum Ende. Denn kaum glaubt ich mir nicht so sicher. Ich sitze gezogen. Wenn eine Rolle zu man. eine Geschichte lesen zu 7. Die Stunde mit John im übcrtülitcn Bergre- Ende ist, muss Gioanni die können, entzieht sie sich wie- beiiii Turnlehrer staurani, er ärgert sich, dass das neue ankleben und hat dann ex- der. Schneiders 1 Iulzschnittge- Brot zur Suppe extra kostet, ne- akt 42 Sekunden Zeit, um ans schichten hängen an den Wän- Giovanni will unbedingt, dass henan spritzt ein Kind seinem andere Ende der 30 MeIer lan- den der Ortsgalerie. Und drückt ich mit ihm in die Kirche kom- Vater mit Kctchup die 1 .edei - gen Maschine iu gelangen, um man das Ohr an diese Vy ände. mc. Die Kirche in San Juan ist jacke voll, aus den Lautspre- das zusanimengeklebte Stück dann hört man noch jede Menue riesig und sieht mitten im Dorf. chern singt einer, dass er schön vorne wieder hetauszuschnem- anderer Geschichien. Das 1 laus ich setze mich in die hinterste und toll und aus dem lirul sei, den. Wenn Feierabend ist, trinkt war früher ein Priathaus. Dann Reihe. Die Messe beginnt. Ich ich flüchic talwürts. Ich sUtäme Giovanni gern ein Radelfinger. w:ir es ein Pfarrhaus, dann ein hin nicht katholisch. Ich \ erste- mich. saue ich zu John. Beice Das ist die tjennkefirma der PneslersLminjr und dann eine he wenig von Messen. Ich be- sollte man allein lassen. Man Gebrüder Eggei .. \mn Sonntag [3esserungsanstalm iür gefallene v ege den Mund, wenn die an- - -. . - . -‚ •:. . 77, 1
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