Kitzbüheler Anzeiger

Archiv Viewer

Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
* Weihnachtsbeilage 2002 ^ ^ I Wir lebten damals das ganze aus den Augen wischte. Ich wuß- ^ Jahr in unserem Berghaus am te, sie mußten weinen, weil Lo- Hahnenkamm, weil unser Haus thar und Heiner, ihre Söhne, ir- ^ in der Bahnhofstraße mit ausge- gendwo im Krieg in einem ‘ bombten Flüchtlingen gefüllt Schützengraben lagen. I war. Das Berghaus liegt am Da mußte auch ich weinen I Waldrand und hin und wieder und wir beteten ganz fest und in­ sah ich einen Schleier vor einem niglich zum Christkind, damit es Fenster vorbeihuschen, das muß- sie beschütze. Was es auch tat. te wohl ein Engel gewesen sein, in jener fernen Zeit, als es noch kein Fernsehen und auch sonst y-'V 1 •f f I s Eines Tages im Advent nahm mich mein Mitschüler Herbert Marchner, nach der Schule ... wir kein Entertainment gegeben hat- gingen in die dritte Volksschul­ te, fanden die Weihnachtsge- klasse ... geheimnisvoll auf die schichten die Mama uns erzählte Seite des alten Schulhauses ... ich hatte noch einen sehr klei­ nen Bruder ... in unserer unver- (RlSKi'yl/T um mir ein Geheimnis mitzuteilen: "Weißt du eigentlich, dass es gar brauchten Phantasie fruchtbaren kein Christkind gibt", fragte er. Ich erschrak zutiefst und wollte Der Tag des Heiligen Abends ihm nicht glauben. Aber es war schien nicht vergehen zu wollen. ihm gelungen, den bösen Samen Da duftete es im ganzen Haus des Zweifels in mir zu säen. Die- nicht nur von den Tannenzwei- ser Zweifel machte mich fast gen, die im offenen Kamin krank, aber ich wagte nicht, ihn brannten, sondern auch von meinen Eltern mitzuteilen. Am Weihrauch. Am späten Nachmit- Weihnachtsabend, als wir wieder M ^ tag wurden mein kleiner Bruder im Schlafzimmer warten mußten, fpr H ^ Kinderop- Florian und ich in ein Schlafzim- schlich ich mich leise hinaus und fer und Überwindungen sollten mer verbannt und dies waren si- schaute ins Wohnzimmer. Und K ini l Jesuskinde an die cherlich die längsten Stunden des tatsächlich ... Papa und Mama Krippe legen, um ihm Freude zu Jahres. Unsere Mutter hatte uns schmückten selbst den Christ- J Jahres bn r ‘"^^“"'Jers sorgfältig Aber ich ließ mir nichts anmer- ten X h T °Christkind. Papa lei- ken, ich wollte meine Eltern nicht Sr n"' Gesellschaft, aber auch kränken. Erst zwei Jahre später, Ster des Adven^tkalenders. Da- er mußte immer wieder etwas er- Weihnachten 1945 als SSiPhSSS ledigen. Nach einer Ewigkeit kam Nachmittag des Heiligen Abend S Jrhr S Gendarmen meinen Vater noch n'cht der Wirtschaft und ein Weihnachtslied und endlich, verhafteten, weil er Nationalso- SnsuSvShaSn'' gewesen war, da schrie ich Konsumverhalten anzukurbeln. ten wir ein leises Glöcklein. ihnen nach: " Es gibt ja gar kein Es gab ja fast nichts mehr m den Dann durften wir hinunter ins Christkind!" Und so wurde mir Geschäften und was es gab, war große, warme Wohnzimmer. zum zweiten Mal das Christkind streng rationiert. Die meisten Dort leuchtete der Christbaum gestohlen Männer ... auch meine beiden und daneben, auf einem kleinen großen Bruder ... kämpften ir- Tisch, lagen liebevoll verpackt gendwo an einer der Fronten. ein paar Geschenke. Es war wun- Unser Vater, der schon im Ersten dervoll! Dann sangen wir die Weltkrieg gedient hatte, war Weihnachtslieder und ich sah, Klapperstorch nahm. Aber das i^st einzurucken. Als Zahnarzt gelang und auch Papa sich die Tränen eine andere Geschichtei es ihm, wenn auch illegal, seine Behandlungen von Bauern in Form von Lebensmitteln hono­ riert zu bekommen, so mußten wir nie hungern. Irgendwie gelang es Mama im­ mer, auf Weihnachten Kekse und Kuchen zu backen. Als kleiner Bruder von zwei größeren gings mir bekleidungsmäßig gut. Zu Weihnachten gabs immer einen neuen Pullover aus Wolle, die aus alten Pullovern getrennt worden war. Auch Fäustlinge und Socken. Damals wurde ja noch alles aufgehoben und wie­ derverwendet. Es wurde viel genäht und geflickt. H^LLO etwas Unangenehmen überwun­ den hatte. Mit Hilfe dieser Op­ ferhemden gelang es meiner Mutter fast immer, aus mir, zu­ mindest während der vorweih­ nachtlichen Wochen, einen bra­ ven Buben zu machen. o (/> OS O) £P > 0) 52 <Ü UJ 52 o u X c o am I c o > U) PS.: Derselbe aufklärerische Herbert Marchner, er wohnte in der Gänsbachgasse, war es auch, der mir sowohl den Glauben an den Osterhasen als auch an den Unsere Familie war zwar nicht religiös, aber Feiertage wie Weihnachten, Neujahr, Dreikönige und Ostern wurden dennoch zumindest nach den überlieferten Regeln des Brauchtums gefeiert. lAmmckm umereM,ße^ckätztm KtmAm, einyjroke^ WeUmAchtsßi^t mÄ JaAr! Der Advent wurde auch recht klug zur pädagogischen Besse­ rungsperiode verwendet, denn man sollte durch gutes Beneh­ men Fleiß und Folgsamkeit, das Christkindl günstig stimmen. Zu diesem Zweck diente ein sogenanntes Opferhemd, aus Papier geschnitten, mit vielen kleinen Dreiecken, von denen man immer dann eines aufbiegen durfte, wenn man sich zu irgend Uhi - (folf- Tennif am Lärchenhof Familie Manzl • 6383 Erpfendb^^
< Page 52 | Page 54 >
 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen