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* * * Weihnachtsbeilage 2002 * * * Weihnachten in Tirol Aus dem Buch "Kleinhäusler" von Sebastian Haselsberger erschienen beim Berenkamp Verlag 1995 Viele Menschen sehnen sich heute nach einer tiefverschneiten Berghütte, in der sie zwar auf manchen Komfort verzichten müssen, aber abseits von Rummel und Hektik abschalten, in Ruhe und Beschaulichkeit ein friedliches Weihnachts fest feiern können. ging es auch ans Kletzenbrot backen. Bis zu zehn Kilo wog ein solcher Zelten bisweilen. Anschneiden durfte ihn am Stefanitag nur der oder die Liebste. Nur ihm (oder ihr) stand der Anschnitt, der Scherz, zu. Um einen Zelten dieb die Freude an seiner Beute zu verderben, wurden in das Kletzenbrot manchmal Nägel eingebacken. Am 21. Dezember - früher das Fest des heiligen Thomas - gab es am Abend eine willkommene Abwechslung. Neun Hüte la gen auf dem Tisch, unter je dem befand sich ein Gegen stand, dem symbolische Bedeutung beigemessen wur- Bei uns daheim waren die Weihnachtstage stille und schöne Zeiten. Obwohl wir an der Hauptstraße wohnten, kannten wir kein elektrisches Licht. Bittere Not hockte in al len Ecken unseres Hauses. überzogen. Alles einheitlici mit Wild- und Tannenzweig motiven. Und alles nur für diesen einen Tag. stundenlang warten, bis das Christkind kam. Natürlich quälte uns die Neugier, aber Mamm hatte vorgesorgt. Alle Fenster waren verhängt, so gar das Schlüsselloch. Bei Ein bruch der Dämmerung füllte Tatt das alte Holzkohlenbü geleisen mit etwas Glut aus dem Herd, legte Weihrauch auf, drückte dem älcesten Bu ben den Weihrauch in die Hand, und dann ging es - die Küchenstube ausgenommen rund um das Haus. Betend 'räucherte' Tatt jeden Win kel aus, und Hais besprengte alles reicnlich mit Weihwasser. Mamm blieb in der Küche, sie hatte "am Herd zu tun". Nach dem "Rachen" stam- oerte urs M.amm wieder in die Kanmer und brachte ihren Ziegen und Hennen et was vorr "Buschn", getrock nete Kräuter und Almblumen, die am Hohen Frauentag vom Pfarrer gewe ht worden wa ren. Danach war die Zeit fürs Bad gekommen. In der Waschküche schöpfte Tatt das kochenoe Wasser aus dem Kessel ,n das große, ova le Holzscnaff, in dem Mamm sonst die Wäsche wusch. In dem Badewasser wurde ein Kind nach dem anderen ab- Trotzdem waren wir reich ... denn wir kannten die Zu friedenheit und Weihnachten war für uns immer ein Fest des Friedens, nicht ein Fest des Rummels, der überzoge nen Bankkonten, der unzu friedenen und beleidigten Be schenkten. Gern erinnere ich mich an das Weihnachtsfest vor einem halben Jahrhun dert, als ich gerade acht war. An den drei Donnerstagen vor dem heiligen Abend wa ren die Ankiöpfler, meist fünf Personen unterwegs. Sie symbolisierten die Herbergsu che von Josef und Maria und sammelten für hilfsbedürftige Menschen. Mitte Dezember wurde das Schweindl abge stochen. Nur zu allen heiligen Zeiten kam damals Fleisch auf den Tisch. Wir stürzten uns auf das Fette. Es konnte gar nicht fett genug sein. Der Großteil des Schweines lande te im Kamin, wurde geräu chert und das Jahr über als Jause oder für Speckknödel verwendet. Vor Weihnachten de. Am frühen Nachmittag ... begann Mamm mit dem Aufputzen des Christbaumes, den Tatt aus dem Wald des Mühlpointbauern geholt hat te. Geduldig oackte Mamm Lametta und Engelhaar aus und legte es über die Zweige. Alles mit großer Sorgfalt und Genauigkeit, denn alles Zie rat, selbst aer kleinste La mettastreifen und die noch nicht vollständig abgebrann ten Kerzen, wurden beim Ab räumen des Baumes wieder eingepackt und für das näch ste Weihnachtsfest aufbe wahrt. Die Kerzen waren teuer. Es gab nur echte Wachskerzen Christbaumkugeln kannten wir nicht. Dre,, vie' Äpfel unc ein paar von Mamms wun derbaren Keksen erfüllten denselben Zv/eck. Wenn Mamm mit dem Aufputzen des Christbajmes begann, wurden wir Kinder aus der warmen Stube gejagt. In der kalten Kammer mussten wir Eine Puppe bedeutete Nach wuchs, ein Geldstück Reich tum, ein Kreuz einen Todes fall, ein Ring eine Hochzeit usw. - jeweils bezogen auf sich selbst und auf die näch ste Verwandtschaft. Nun ver ließ einer den Raum, und während seiner Abwesenheit wurden die Hüte vertauscht. Dann wurde der "Kandidat" hereingerufen, er durfte drei Hüte heben. Der zum Vor schein kommende Gegen stand erlaubte einen Blick in die Zukunft. Der Brauch hieß das "Thumaslesen". Am Heiligen Abend ging Mamm schon um sieben Uhr früh zum Engelamt in die Kir che, oft in Begleitung von uns Kindern. Nach Hause zurück gekommen, begann das Backen und Herrichten. Die handgestickten Vorhänge, richtige Kunstwerke von Mamm, wurden aufgehängt, der Tisch erhielt eine Decke, frische Handtücher zierten die Waschstelle, Kopfkissen und Tuchenten wurden frisch
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