Kitzbüheler Anzeiger

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Ä 34 24. März 05 ten auf die Nerven geht. Um die zu entspannen und auf andere Bahnen zu lenken, haben sich manche etwa eine Alte Gerberei adaptiert, in der sie ihre Musik ’ hören, ihre Filme ansehen, fei­ ern, scherzen, diskutieren und die Vorstellung, daß Kultur im­ mer auch etwas mit dem Sozia­ len und Kommunen zu tun hat, als selbstverständlich erachten - also Kinderprogramme in den Ferien oder spezielle Angebote für Frauen. (Was ist mit den Wilden Kaiserinnen?) Und St. Johann? Das gibt es ja gar nicht, ist ständig in widersprüchlicher Bewegung, ein Name, der mit einem Ort in Verbindung steht, ein Ineinander von Gehörtem, Gesehenem, Erlebtem, Erzähl­ tem, Gelesenem, Geschriebe­ nem, zusammengesetzt aus Le­ benden Geschichten und Geschichte, ein offenes Ende. Nur eines ist es sicher nicht: die offizielle Selbstdarstellung der Verwal­ tung, die einem Zweck rückge­ bunden ist, den viele in St. Jo­ hann und St. Johann nicht teilen. den möglichen Folgen der Un­ wissenheit in einer anderen Welt vorbeugt. (Der Wein, den ich mitgebracht habe, ist vom südburgenländischen berg. Das mit dem Berg muß ich sehr relativieren.) die Ordnung als willkommenes tergehe, am Hauptplatz mich Ventil an vorgeschriebenen Ka- noch einmal in der Altstadt um- lendertagen zu- läßt. Nur haben sehe, im Cafe letzte Winke zum sie Nummern auf ihren Berliner Kellner, der kostenlos Glocken, die den identifizieren, in einem unbeheizten Raum der es, wie man so schön sagt, schlafen darf, die Treppen hin­ zu bunt treibt (oder die, wie ab, bevor ich im Gries ins Auto man nachher, als sich manche steige. Beim Verlassen der Stadt entlarven, sieht; auch hier nicht kein Abstecher zum schwarzen mehr alles beim Alten). Das zu See mit seiner alten hölzernen bunt Treiben machte einmal an- Badeanstalt, kein Sonnenschein dere grün und blau, nur heute, auf die Tische des Seebistros, wo alles seinen Platz haben keine Schritte am Campingplatz darf, solange er, sie, es ihn nicht vorbei nach Münichau, nicht in verläßt, ist es bloße Folklore, ei- den schönschäbigen Park des ne große Wer-fürchtet-sich- Renaissanceschlosses, in dessen Show. Willkommen in der Post- kleinem Schwimmbecken drei moderne. Wer bei einem tote Ratten am Wasser trieben, Spektakel, das es seit knapp als löse erst der Tod die Span­ zwei Jahrzehnten wieder gibt, nung, die ansonsten mit Bewe- von Tradition spricht, weiß gung ausgeglichen wird; auch wirklich nicht, was er oder sie nicht mehr hügelan und hügelab damit meint. (Als stünde koffe- durchs Hochmoor zum Gierin- ger Weiher, auf dem mich vor kurzem noch ein Golfspieler vom Eis vertrieben hat, nicht mit dem Wilden Kaiser hinterm Rücken weiter, keine Menschen, die Brocken aus dem Eis bre­ chen, um sie über die gefrorene Oberfläche des schwarzen Sees schlittern zu lassen, also kein pfeifender Doppelton, der eine schabend, klirrend an der Eis­ decke, der andere sirrend, quiet­ schend darunter. In St. Johann nicht bei der Holzfabrik abgebo­ gen, nicht über den Bahnüber­ gang, nicht am andern Cam­ pingplatz vorbei, nicht die Straße, die man am Wochenen­ de nachts sehr behutsam befah­ ren muß, um keine stockbesof­ fenen Jugendlichen zu über­ fahren, bis zum Ständer der »Ti­ roler Tageszeitung« entlang, dort nicht eingebogen und nicht vorm Haus am Horn geparkt. Immer geradeaus stattdessen, an der Steinplatte, am kleinen deut­ schen Eck, am Mondsee und viel später an der Wachau vorbei in die Stadt, in der ich mit einer schwarzen Norwegermütze am Kopf, die mir ein Freund zum Abschied geschenkt hat und auf der weiß auf rot »Tirol« steht, aus dem Auto steige und zur Straßenbahnhaltestelle gehe. Weil du so schön warst, mein Ti­ roler Land. BCein Barambamb- Eisen- Krampuspässe Am Hauptplatz von St. Johann stehen Buden mit Glühwein, Würsten und Tee, vom Balkon des Gasthofs zum Bären dringt Musik der Kirchdörfer Weisen­ bläser, die von einem Ansager unterbrochen wird, der durch den Abend des fünften Dezem­ ber führt. Zuerst kommt eine Kutsche mit Engeln, junge, weiß gekleidete Frauen mit blondem Lockenhaar, hinter de­ nen Nikolaus thront. Der hat zweitausend Säcke für die Kin- und Toten, aus Auf der Alm Ein netter Mensch hat mich, den er nicht kannte, auf eine Almhütte bei Fieberbrunn ein­ geladen, wo er mit seinen Freundinnen und Freunden Wo­ chen- enden und Ferien ver­ bringt. Auf den Gebra wollen' wir, in zweitausend Meter Höhe, so hoch, wie ich noch nie zu Fuß war. Also brechen wir im Nebel auf, weil man selbst am Sonntag dem Wetter (noch) nichts befehlen kaim, setzen die Skistöcke vor unsre Schritte, vorbei an einer Geröllhalde, auf der einmal nach Uran gesucht worden sein soll, von da an im­ mer aufwärts. Stolz habe ich meine neuerworbenen, schon eingegangenen Wanderschuhe angezogen, aber oben, kurz vor dem letzten steilen Aufstieg, wo mein Bekannter mit den Armen Bergzacken ins undurchdringli­ che Grau zeichnet, da wäre das, und dort jenes, bemerke ich, was mir am Gipfel, wo wir uns ins große Erinnerungsbuch ein­ tragen, schmerzlich bewußt wird: daß ich ein Bergdolm bin (auch ein Wort, das einmal, ge- Herr sprach...«) über den Platz, ausgedehnten Frühstück in der meinsam mit der Feder, anders die Kleinen verstecken sich so Küche, seine Exfreundin kommt gemeint war). Ohne frische Wä- gut es geht, klammern sich an vorbei, wir sprechen über dies sehe zum Umziehen, ohne Was- ihre Mütter, verbergen sich hin- und jenes, als ich aufstehe und ser unterwegs! Zurück in der ter ihren Vätern, derweil die mich, der ich Abschiede hasse, Hütte aber gibts Kaspreßknödel Krampusse um sich schlagend schnell verabschiede, meine Ta­ in Suppe und eine Sauna, die die Verhältnisse umdrehen, was sehe packe, die Stiegen hinun- der dabei, die sich dementspre- infreier in direkter Verbindung chend um ihn drängen; die mit Kaffee.) In einer Welt, de- Frau, die im Haus am Horn die ren Ordner die Angstschrauben Zimmer in Ordnung bringt, ständig anziehen, fürchtet sich wischt sich die Augenwinkel, abgesehen von den Kleinen, die einmal noch so jung sein, es so anscheinend lernen sollen, daß sehen können. Auf einmal klei- halbanonyme Stärkere zuschla- ne Explosionen am Dach der gen dürfen, niemand wirklich Post, Diskolichter, Rauch, und vor diesen Krampussen. Man Krampusse in zotteligen Fellen, hat Schlimmeres erlebt, wäh- mit fürchterlichen Masken und rend der Glühwein in die Köpfe riesigen Hörnern, seilen sich steigt, wie eine Antiterroreinheit lang­ sam auf den Hauptplatz. Das Abfahrt Treiben beginnt, drei Pässe, das Die letzten Tage habe ich bei ei­ sind Leute, die, wie?, zusam- nem Freund in lützbühel ver- menpassen, siebzig insgesamt, bracht, wo ich gern im Cafe eilen mit schnellen, ziehenden Bergsinn saß, zur glücklichen Schritten zu dumpfer Rockmu- Stunde Cocktails trank, mich sik, viel Baß, hinuntergestimm- unterhielt oder in den Zeitungen te Gitarren, Bibelsprache oder über das Berichtenswerte in der was dafür gehalten wird (»Der großen Welt las.-Wir sitzen zum am. © by Arbeitskreis Literatur, Joachim Burger „Seine Gedanken scheinen auch immer einen leicht politi­ schen Bezug aufzugreifen. “ kar, Kitzbüheler Nachrichten, 27. Oktober 2004
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