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Aktuell 5. Februar 2015 5 e Bildungssystem, Schulversuche, -reformen und die Möglichkeiten f ür d ie Zukunt eder schön r eden noch krank machen“ Rechnen eine fundierte Allge- meinbildung, Berufsbildung, der Erwerb sozialer und mu- sisch-kreativer Kompetenzen, aber auch zu lernen, Verant- wortung für s ich und andere zu übernehmen u vam. Als weitere Handlungsfelder sehe ich die Professionalisierung der Pädagoginnen und P ädago- gen sowie eine allgemeine Sen- sibilisierung für die W ichtigkeit von Bildung, im Sinne von Bil- dungsgerechtigkeit insbeson- dere bei „bildungsfremderen sozialen Schichten“, denn Bil- dung ist Zukunt, sie gibt Per- spektiven und ist der Schlüssel für T eilhabe am gesellschatli- chen Leben und sozialen Auf- stieg – und gleichzeitig Grund- voraussetzung für W achstum, Wohlstand und Fortschritt. Bil- dung muss in den Köpfen d er Menschen – der Kinder, der Eltern/Erziehungsberechtigten und aller anderen – absolut po- sitiv konnotiert sein, (lebens- langes) Lernen als wertvoll und sinnerfüllend gesehen werden. Das Land Tirol ist gegenüber neuen Varianten im Schulsys- tem sehr ofen und hat auch Einiges „ertestet“. Wi e sieht Ihre Bilanz zu den bisherigen Schulversuchen aus? Die für die p ädagogische B e- wertung zuständigen L andes- schulinspektoren/innen sind bei vielen Schulversuchen der Meinung, dass sie viel gebracht haben, weil sie einerseits zu Qualitätssteigerungen beitra- gen haben, wie zum Beispiel der Schulversuch „Alternative Leistungsbeurteilung“ im Volks- schulbereich, und andererseits wertvolle Erfahrungen gesam- melt haben, Optimierungen er- reicht werden können und wie sie als Orientierung hilfreich sind, wie etwa bei den zahlrei- chen Schulversuchen zur Erpro- bung der neuen standardisierten Reife- und Diplomprüfungen. Positiv bewertet werden auch die Schulversuche zur vorzei- tigen Umsetzung der modula- ren Oberstufe, denn sie haben zur Gewinnung von Erkennt- nissen beigetragen, die in die Gesetzgebung für d ie „Ober- stufe neu“ eingelossen sind. Ein wichtiger Aspekt von Schulversuchen kann auch die Berücksichtigung r egionaler Bedürfnisse s ein, also eine Art „kontrollierte Autonomie“. Andere Schulversuche brin- gen mitunter aber auch viel Zusatzarbeit und zum Teil – aufgrund wechselnder Vorga- ben des Ministeriums - leere zurückgelegte Kilometer, die bezüglich der Schulversuche zu den neuen Lehrplänen be- mängelt w erden. Die Zusatzar- beit betrit vor allem die Lehr- personen, deren Fach expertise zur Erarbeitung der Lehrpläne herangezogen wird. Müsste d as Ministerium dafür externe Ex- perten/innen verwenden, wäre dies nicht inanzierbar. Der „kurioseste“ Sc hulver- such in Tirol ist die Internats- schule für S chisportler in Stams, die seit 1967 besteht und in zwei Jahren ihr 50-jähriges J ubiläum feiert. Da niemand daran denkt, die Schule zu schließen, wäre es hoch an der Zeit sie in das Re- gelschulwesen zu übernehmen. Ist es nach den Reformge- danken der Bundesregierung möglich, a uch am Lande den Menschen bzw. Kindern eine gute Ausbildung zu garan- tieren? Oder wird die Bil- dung auf die Ballungszen tren gebündelt? Wir haben in Tirol ein über alle Bezirke ausgewogen verteil- tes Angebot der unterschiedli- chen Schultypen, sodass auch „am Land“ durchaus eine gute Bildung und Ausbildung ge- geben ist. Das Problem in den Bal- lungszentren ist, dass hier der Andrang besonders groß i st und daher nicht alle Schüler/innen einen Platz in ihrer Wunsch- schule bekommen können. I n diesen Fällen ist der Landes- schulrat aber sehr darum be- müht, bei der Suche nach einem geeigneten Schulplatz behilf- lich zu sein. I n einem privaten Gespräch erzählte mir vor k urzem ein Lehrer, dass er seine Schüler für d as Leben vorbereiten will. Lehrpläne und V orgaben des Ministeriums machen das aber fast unmöglich. I st die Schule so schon realitätsfremd? Dieser Aussage kann ich so nicht zustimmen. Wenn Sie sich die Lehrpläne der unter- schiedlichen Schularten genauer ansehen, werden Sie feststel- len, dass bei den allgemeinen Bildungszielen sowie den Bil- dungs- und Lehraufgaben der einzelnen Gegenstände (mit- unter auch Cluster) die Vor- bereitung auf das (private und beruliche) Leben sehr wohl handlungsleitend sind. Lehrpläne w erden für die Z u- kunt geschrieben und sind in der Regel so formuliert, dass Inhalte den Entwicklungen an- gepasst werden können. Auf- gabe der Pädagoginnen und Pädagogen a n unseren Schu- len ist es, unter Beachtung der allgemeinen didaktischen Grundsätze und d es Einsatzes geeigneter Methoden einen entsprechend interessanten, zeitgemäßen, aktuellen und le- bensbezogenen Unterricht an- zubieten, um diese Bildungs- ziele zu erreichen. Welche „Vorgaben des Minis- teriums“ gemeint sind, müsste konkretisiert werden, um dazu Stellung nehmen zu können. Wie muss sich das Schulsys- tem verändern, d amit unsere Kinder küntig in E uropa zu den besten gehören? Die Frage ist, nach welchen Kriterien sich die Qualität nicht einer einzelnen Institution, son- dern eines ganzen nationalen Schulsystems beurteilen lässt. Die Kriterien des Center for Educational Research und In- novation der OECD, des mäch- tigsten erziehungswissenschat- lichen hink tanks der Welt, das seit 40 Jahren die Bildungspo- litik der OECD-Mitgliedlän- der und Fallstudien von „best practice“ aus deren Schulsys- teme dokumentiert und analy- siert, können hier die Richtung weisen. Kurz zusammengefasst lauten diese: - Schulsysteme demokrati- scher Gesellschaten haben si- cherzustellen, dass alle Kinder nicht bloß formal, sondern de facto Chancengleichheit haben; - wer was auf welcher Ebene des Schulsystems mit welcher Kompetenz zu entscheiden hat, erfordert eine wohlüberlegte Ba- lance von Bildungspolitik auf Länderebene und professionel- ler Autonomie auf kommunaler und einzelschulischer Ebene; - das Schulsystem hat allen Kindern und Eltern glaubwür- dig die Einsicht zu vermitteln, dass Bildung ein kostbares Gut ist und dass die Teilhabe daran persönliche, b eruliche und staatsbürgerliche C hancen er- öfnet und b ei frühzeitigem Ausstieg die Gefahr der sozia- len (Selbst-)Ausgrenzung droht. - das Regelschulwesen hat sich für die g esamte Bandbreite des Begabungsspektrums ver- antwortlich zu fühlen; Sonder- schulen sollen nur von Kin- dern besucht werden, die eine besondere schulische Umwelt benötigen; - Bildung ist nicht nur kostbar, sondern auch kostspielig und wird mit knappen öfentlichen Mitteln inanziert, nicht erha- ben über die b etriebswirtschat- liche Kosten-Nutzen-Rechnung des Einsatzes und der Wirk- samkeit von Unterrichtsfor- men und Lehrpersonal. Bei Betrachtung dieser Kri- terien kann ich durchaus fest- stellen, dass Vieles davon bei uns verwirklicht ist. Wir sollten die Leistungen unserer Schulen weder schönreden n och krank- jammern. Es gilt, Bewährtes anzuerkennen und gleichzeitig unentwegt an Verbesserungen zu arbeiten. Denn Schule ist ein Prozess, der in einem ständi- gen Fluss und nie abgeschlos- sen ist. Auch nicht nach einer noch so guten Reform. Elisabeth M. Pöll
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